Ungarnfahrt vom 20. bis 27.4. 2002
Ein Reisetagebuch von Sabine Schwalbert
Im Frühjahr habe ich für den Nordanzeiger einen Artikel über den Verein geschrieben. Schon damals fragten mich die Ungarnfahrer, ob ich nicht Lust hätte, mitzufahren. Ganz spontan habe ich ja gesagt und die Sache dann nicht ganz vergessen, sondern im Hinterkopf behalten. An 20. April sollte es losgehen, eine Woche in Ungarn.
Zwei Wochen vor der Abreise rief mich Andreas noch mal an. In der geplanten Reisewoche habe ich keine Termine, also sage ich spontan zu.
Am Samstag Nachmittag geht es los in Richtung Ungarn. Mit Andreas Passat fahren wir los, ich bin die Letzte, die eingesammelt wird, und natürlich machen sich die Jungs über mein Gepäck lustig, dabei habe ich doch wirklich nur das Notwendigste eingepackt....Mit mir fahren der Informatikstudent Dominik, Rolf von der Instandsetzungsgruppe und Andreas, gebürtiger Ungar und unser übersetzer in allen Lebenslagen. Rolf führt bei der Nachtfahrt seine eigene Zeitrechnung ein, stündlich einmal klappt und klickt es, Rolf hat dann einen Zigarillo aus seiner Blechschachtel genommen und angezündet.
Die Computer sind separat im Bus mit Michael und Reinhard unterwegs. Nachdem wir die Nacht gemütlich durchgefahren sind, erreichen wir am frühen Morgen die Grenzstation Bucsu. Im Morgengrauen sind wir durch das Burgenlang gefahren, über Umleitungsstrecken, die wohl nur österreicher hinkriegen. Nicht nur wir sind verschlafen, auch die Zöllner haben wenig zu tun. Reinhard setzt in der kleinen Zollstation seinen Tauchsieder in Betrieb und damit auch gleich das Zollhäuschen unter Wasser, was ihm die Zöllner aber nicht übel nehmen. Der Kaffee, den Reinhard mit diesem Gerät braut, ist wohl geeignet, Tote zuerst aufzuwecken, um sie danach mit Herzkasper wieder umfallen zu lassen. Dank der guten Vorarbeit von Deutschland aus geht es hier schnell, nur ein halbe Stunde braucht der Zoll.
Nach einem ordentlichen Frühstück sind wir um die Mittagszeit in Ikervar. Ein Dörfchen mit rund 5000 Einwohnern, schätzt Andreas. Schnurgerade Straßen gehen durch den Ort viele, auch ältere Leute, sind mit uralten klapprigen Fahrrädern unterwegs.
Das örtliche Kinderheim bekommt zehn Rechner mit Monitoren und sechs Drucker. Arbeitsgerät für den Informatikunterricht. Früher war das Heim in einem rosafarbenen Prachtbau aus stalinistischer Bautradition untergebracht, heute gibt es vier Wohngruppen in kleinen, modernen Häuschen. Den Prachtbau hat ein ungarischer Neureicher gekauft, auf dem riesigen, parkähnlichen Gelände will er später Pferde züchten.
Übergeben dürfen wir die Computer heute aber noch nicht, erst muss der Zollhof in Szombathely nochmal prüfen. Der Direktor des Kinderheims ist bei der heutigen Stichwahl als Wahlleiter eingesetzt, wir müssen ihn zuerst im Bürgermeisteramt suchen. Das Mittagessen wartet schon auf uns, vorher kommt der Direktor aber noch mit einer Flasche um die Ecke. Drin ist offensichtlich nicht das, was draufsteht, im Verlauf der Unterhaltung fällt immer wieder der Begriff 'Privat Palinka'. Schwarzgebrannt ist dieser Willkommensschnaps, und hat es mit rund 51 Umdrehungen auch in sich.
Für Montag morgen haben wir einen Termin mit dem Zollchef in Szombathely, Kuglicz, Attila. Und schon gibt es die ersten Probleme. Mittlerweile benötigt der ungarische Zoll weitere Papiere der Empfänger. Das war in Deutschland noch nicht bekannt. Also setzt sich Kuglicz, Attila, ans Telefon, um sich die Unterlagen zufaxen zu lassen. In der Zwischenzeit werden wir, wie überall, aufs Freundlichste bewirtet, selbst Cognac wäre zu haben (ich lehne angesichts des gestrigen abendlichen Palinka-Tests aber dankend ab). Zwischendurch erzählt uns der Zollchef von seinen Oldtimern und Motorrädern.
Vorbei ist es mit dem Zeitplan, der vorsah, im Beisein von Fernsehen und Presse mittags die Rechner zu übergeben. Um halb drei nachmittags ist endlich das letzte Fax da, wir dürfen mit den Geräten losfahren. In Ikervar wartet schon die örtliche Presse, auch das Fernsehen hat auf uns gewartet und kurbelt jetzt, was das Zeug hält.
Die vier Wohngruppen und die Schule des Kinderheims bekommen die zehn Rechner. Direktor Tancsics, Josef, hat sich schon im Vorfeld um alles weitere gekümmert. Die Studenten einer nahe gelegenen polytechnischen Uni werden bei der weiteren Installation helfen.
Am nächsten Morgen fahren wir weiter. Vom Nordwesten geht es in Richtung Südosten. Die erste Zwischenstation ist in Pecel, in der Nähe von Budapest. Ein Kindergarten hat sich im letzten Jahr für Rechner beworben. Die Ungarngruppe hatte im Vorfeld alle Bewerbungen geprüft und die bedüftigsten Privatleute und Institutionen ausgewählt. Der 'Regenbogen' - Kindergarten mit über 100 Kindern will Lernsoftware auf den PCs installieren und hat bereits einige 'Peter Lustig'-artige CD-ROMs organisiert. Auch hier ist wieder die Presse und das Fernsehen da, der Bürgermeister hält eine Rede, die Kinder haben zwei Wochen lang ein Gedicht für uns auswendig gelernt. Rund zehn Minuten geht das Lied inklusive Gedicht vom faulen Esel. Die Kinder stecken in ihren besten Sonntagsklamotten, und der Bürgermeister übergibt uns zwei Wimpel. Wir sind total begeistert vom Engagement der Kinder und Erzieher. Das lokale Fernsehen, sowas wie ein offener Kanal, dreht aus der ganzen Geschichte einen langen Bericht, den wir uns auf der Rückfahrt auf Videokassette abholen werden. Sehr interessant ist der Blick auf die Empfangsbestätigung, die uns ausgehändigt wird: Dort ist nämlich ein Marktwert von umgerechnet 2.000.000 Forinth angegeben, umgerechnet 1.000 Euro. Wohl bemerkt: Wir haben zwei Pentium-1 Rechner nebst Monitoren und Druckern übergeben, die in Deutschland bei eBay für maximal ein Viertel dieses Preises hätten versteigert werden können!
Nach dem Zwischenstop in Pecel geht es weiter nach Szeged, nahe der jugoslawischen Grenze. In Szeged ist der Empfänger eine Seniorenbegegnungsstätte. Dort sollen die Rechner für alle möglichen Sachen genutzt werden, unter anderem können die Senioren damit ihre Korrespondenzen machen. Wie überall werden wir auch hier herzlich empfangen, gibt es zu essen und trinken reichlich. Wenn Andreas nicht helfen kann, verständigt man sich mit Händen und Füßen, und Dominik und ich bedauern später, nicht wenigstens genug ungarisch für den Satz 'Es schmeckt sehr gut, aber ich bin leider schon satt' zu beherrschen. Ohne Andreas als übersetzer wären wir ziemlich aufgeschmissen, denn ungarisch ist eine Sprache, von der der Unkundige nicht mal ansatzweise was versteht. (Immerhin, in den paar Tagen haben wir schon die Begriffe 'privat Palinka' s.o., 'sör' (Bier) und ein paar andere gelernt).
Wir sind hier in einem Hotel untergebracht, im Seniorenheim gab es nicht genug Platz. Am Nachmittag sehen wir den Rentnern beim Zocken zu, mit altem Geld aus Aluminium, das sorgfältig in Plastikröhrchen gesammelt wird, wird hier gespielt, (und auch versucht zu mogeln).
Aus Csanadpalota ist Schuldirektor Fejes Ferenc angereist. Er holt sich fünf Rechner für seine Schule ab und fragt nebenbei noch nach Partnerschaften mit Dortmunder Schulen.
Offiziell ist die Fahrt am Abend abgeschlossen, und das wollen wir feiern. Schon gestern Abend waren wir in einem Restaurant in der Altstadt essen, heute spielt dort eine Zigeunerkapelle. Andreas unterhält seine speziellen Beziehungen zum Kellner, der bringt uns Riesenportionen und empfiehlt so dies und das. Die Suppe wird hier für einen ganzen Tisch im fünf-Liter-Eimerchen aus Metall gereicht. Nach Vorspeise, Hauptgericht und teilweise zwei riesigen Desserts sind wir alle genudelt und befürchten, mindestens zwei Kilo in dieser kurzen Zeit zugenommen zu haben.
Ein Rechner ist am nächsten Tag noch abzugeben, er geht an ein autistisches Kind, das mit dem PC besser mit seiner Umwelt kommunizieren soll. Auch hier gibt es noch ein paar Probleme, die uns einen halben Tag auf dem Zollhof in dem hübschen örtchen mit dem schwierigen Namen Hodmesövasarhely festhalten. Hodmesövasarhelykutasipuszta, das legendäre Dörfchen aus 'Ich denke oft an Piroschka' muss hier ganz in der Nähe sein, gefunden haben wir es nicht. Die Mittagspause verbringen wir, wie am Nebentisch die Zöllner, in einem Gasthof. Dort gibt es Suppen in Schüsseln, die eine ganze Großfamilie satt machen würden. Wir essen nur eine 'Kleinigkeit', Nachspeisen mit Pudding, gigantisch wie alle Portionen hier.
In einer Woche haben wir 21 PCs in ganz Ungarn verteilt, haben Störche, die Puszta, Rieddachhäuser gesehen, Zigeunermusik gehört. Durch Budapest sind wir wenigstens einmal durchgefahren. Von Andreas haben wir viel über Land und Leute gehört. Wir sind mehr als gastfreundlich aufgenommen worden, haben Ungarn und seine Einwohner ganz untouristisch Kennen gelernt. Und dabei haben wir doch nur das gebracht, was hier in Deutschland nicht mehr gebraucht wird, alte PCs.
Auf der Rückfahrt machen wir noch mal Station in Ikervar. Zusammen mit einer Betreuerin sehen wir uns die Videos von den 'Fernsehauftritten' an. 'Wir haben aber mehr Computer als die gekriegt' ruft sie stolz.
Am Freitag Mittag machen wir uns auf die Heimreise. Langsam fahren wir wieder die Nacht durch, an der deutschen Grenze geht auch endlich mein Handy wieder, die Zivilisation hat mich zurück, aber auch der Alltag.
Die nächsten Fahrten werden schon organisiert, und wir würden alle sofort nochmal fahren, obwohl wir viele, viele Stunden beim Zoll und auf der Autobahn verbracht haben. Andreas plant schon den nächsten Transport, im Winter will er Spielzeug nach Ikervar bringen, denn das ist in Ungarn, genau wie die Computer, sehr viel teurer als hierzulande. Aber das ist eine andere Geschichte...
von Sabine Schwalbert